Die Tarifautonomie bezeichnet das Recht der Tarifvertragsparteien, selbstständig Tarifverträge abzuschließen und Regelungen zu Arbeitsbedingungen und Löhnen festzulegen. Die Parteien eines Tarifvertrages sind d die Gewerkschaften oder Arbeitnehmervertretungen auf der einen Seite und einzelne Arbeitgeber oder Arbeitgeberverbände auf der anderen Seite. Die Gewerkschaften oder Arbeitnehmervertretungen vertreten die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und streben bessere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne und soziale Absicherungen an. Sie handeln im Auftrag und Interesse ihrer Mitglieder. Die Arbeitgeberverbände oder Arbeitgebervertretungen vertreten die Interessen der Arbeitgeber und setzen sich für wirtschaftliche Rahmenbedingungen ein, die den Bedürfnissen der Unternehmen entsprechen. Sie handeln im Auftrag und Interesse ihrer Mitglieder. Ca. 50 Prozent der Beschäftigten in Deutschland arbeiten zu tariflichen Konditionen. In der Wach- und Sicherheitsbranche sind es sogar gut zwei Drittel!
Definition und Funktionen
Die Tarifautonomie wird verfassungsrechtlich garantiert durch das in Art. 9 Abs. 3 GG verbürgte Grundrecht auf Koalitionsfreiheit. Tarifautonomie ermöglicht den Vertragsparteien, die Arbeitsbedingungen in bestimmten Branchen oder Unternehmen eigenständig zu regeln. Diese Tarifverträge können beispielsweise Regelungen zu Löhnen, Arbeitszeiten, Urlaubsansprüchen, Kündigungsfristen und anderen arbeitsrechtlichen Themen enthalten. Dabei können die Parteien von allgemeinen arbeitsrechtlichen Vorschriften abweichen und faktisch autonomes Recht setzen. Zahlreiche regulierende Vorschrift, welche der Vertragsfreiheit Grenzen setzen, finden auf Tarifverträge gar nicht oder nur eingeschränkt Anwendung.
Dazu gehören insbesondere:
- Arbeitszeit:
- § 7 Arbeitszeitgesetz (ArbZG): Tarifverträge können von den allgemeinen Vorschriften zur Höchstarbeitszeit, Ruhepausen und Ruhezeiten abweichen.
- Sonn- und Feiertagsarbeit:
- § 9 ArbZG: Tarifverträge können Ausnahmen von den allgemeinen Vorschriften zur Sonn- und Feiertagsarbeit ermöglichen.
- Urlaub:
- § 3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG): Tarifverträge können Regelungen zu Urlaubsansprüchen und Urlaubszeiträumen treffen, die von den gesetzlichen Vorgaben abweichen.
- Lohn und Gehalt:
- § 4 Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG): Tarifverträge können Bestimmungen zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall festlegen, die von den gesetzlichen Regelungen abweichen.
- 4a Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG): Tarifverträge können abweichende Regelungen zur Entgelttransparenz und Auskunftsansprüchen vorsehen.
- Kündigungsschutz:15 Kündigungsschutzgesetz (KSchG): Tarifverträge können besondere Regelungen zum Kündigungsschutz, zur Kündigungsfrist und zu Kündigungsgründen treffen.
Hintergrund
Die Tarifautonomie und die Möglichkeit, von gesetzlichen Vorschriften durch Tarifverträge abzuweichen, basiert auf den folgenden Überlegungen:
- Branchenspezifische Bedingungen: Verschiedene Branchen und Wirtschaftszweige haben unterschiedliche Anforderungen und Rahmenbedingungen. Durch die Abweichungsmöglichkeiten können Tarifverträge auf die spezifischen Bedürfnisse einer Branche eingehen und maßgeschneiderte Lösungen bieten.
- Flexibilität und Anpassungsfähigkeit: Die Arbeitswelt und die Anforderungen an Arbeitsbedingungen ändern sich im Laufe der Zeit. Die Abweichungsmöglichkeiten ermöglichen es den Tarifvertragsparteien, flexibel auf Veränderungen zu reagieren und neue Regelungen zu entwickeln, die den aktuellen Gegebenheiten gerecht werden.
- Wettbewerbsfähigkeit: Durch die Abweichungsmöglichkeiten können Tarifverträge dazu beitragen, die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und Branchen zu erhalten oder zu stärken. Sie ermöglichen es den Tarifvertragsparteien, Kompromisse zu finden, die den Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gerecht werden, gleichzeitig aber auch die wirtschaftlichen Belange der Unternehmen berücksichtigen.
- Geringere Schutzwürdigkeit: im Kollektiv sind Arbeitnehmer „mächtiger“, als wenn sie einzeln mit einem großen Unternehmen Arbeitsbedingungen verhandeln. Da die Größe und Kenntnisse der Parteien bei Tarifverträgen ausbalanciert sind, besteht ein geringeres Bedürfnis nach staatlichen Interventionen zum Schutze der Beschäftigten.
Allgemeinverbindlichkeit
Unter bestimmten Voraussetzungen können einzelne tarifvertragliche Bestimmungen für allgemeinverbindlich erklärt werden. Wenn ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wird, gilt er für alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einer Branche oder einem Wirtschaftszweig. Also auch für diejenigen, die eigentlich nicht tarifgebunden sind. Dies setzt allerdings ein öffentliches Interesse voraus und dass der Tarifvertrag eine überwiegende Bedeutung erlangt hat. Zum Beispiel, weil zahlenmäßig die meisten Angestellten einer Branche bereits zu tariflichen Konditionen beschäftigt werden und eine Benachteiligung der Minderheit nicht tarifgebundener Arbeitnehmer droht. In Deutschland erfolgt die Allgemeinverbindlichkeitserklärung durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf Antrag einer tarifschließenden Partei.
Siehe auch:
- Allgemeinverbindlichkeit
- Gewerkschaft
- Tarifbindung
- Tarifvertrag
- Tarifvertragsgesetz