Phänomen

Von einem Notwehrexzess spricht man im Strafrecht, wenn der Täter aus aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken die Grenzen eines Notwehrrechts überschreitet. 

Beispiel 1: Passant P wird spätabends von Räuber R angegriffen, der mit einem Messer bedrohen die Herausgabe seines Handy bewirken will. P ergreift eine Pistole und schießt in panischer Angst zielt auf den Kopf und nicht auf Arme oder Beine.

Nach § 32 StGB (Notwehr) liegt ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff vor. Allerdings ist das Notwehrmittel tödlicher Kopfschuss nicht erforderlich, weil auch ein schonenderer Schuss den gleichen Erfolg erzielt hätte. Damit wäre P nicht nach § 32 StGB gerechtfertigt und auch andere Rechtfertigungsgründe scheitern an der fehlenden Verhältnismäßigkeit des Verteidigungsmittels. Dies kann allerdings nicht unmittelbar zu einer Strafbarkeit wegen Totschlags nach § 212 Abs. 1 StGB führen. Denn es muss auch der Umstand berücksichtig werden, dass der Täter P durch seine Angst nicht vollständig „Herr seiner Sinne“ gewesen ist. Dieses Phänomen wird in § 33 StGB aufgegriffen und als Notwehrexzess bezeichnet. 

Unterschiede zur Notwehr

Der Notwehrexzess ist dabei kein eigener Rechtfertigungsgrund. Stattdessen entschuldigt er den Täter für sein Verhalten. Verwirrung, Furcht oder Schrecken bezeichnet man auch als asthenische Affekte, die dazu führen, dass dem Täter die Tat nicht persönlich vorwerfbar ist. Daher spricht man auch von § 33 StGB als Entschuldigungsgrund. Dem Täter fehlt die Schuld. Es gilt: ohne Schuld keine Strafe. Daher würde Passant P im Beispiel nicht aus § 212 Abs. 1 StGB bestraft werden könne. Ein möglicher Verstoß gegen das Waffengesetz bleibt hier aus Vereinfachungsgründen unberücksichtigt. 

Intensiver und extensiver Notwehrexzess

Umstritten ist, was von den „Grenzen der Notwehr“ in § 33 StGB genau gemeint ist. Der Wortlaut lässt zunächst offen, ob damit lediglich die Grenzen des Notwehrmittels oder aber auch zeitliche Grenzen gemeint sein können. 

Beispiel 2: wie Beispiel 1. Nur ist R schon auf der Flucht. In panischer Angst schießt P auf R, obwohl der Angriff fehlschlug und er ohne Handy wegläuft.

In Konstellation 1 liegt ein intensiver Notwehrexzess vor. Der Täter irrt „nur“ über das Ausmaß des Notwehrmittels. Es bestand aber der von § 32 StGB vorausgesetzte gegenwärtige Angriff. Diese ist unstrittig von § 33 StGB erfasst und führt zur Schuldlosigkeit.

In Konstellation 2 irrt P nicht nur aber das Ausmaß, sondern auch die zeitlichen Grenzen (extensiver Notwehrexzess). Er verteidigte sich, ob wohl der Angriff schon beendet war, also nicht mehr gegenwärtig. Hier ist umstritten, ob auch dieser weitreichende Irrtum noch zur Straffreiheit führen kann. Diese Theorien wird in der Rechtspraxis überwiegend abgelehnt. Ein Notwehrexzess knüpft seinem Wortlaut nach an eine bestehende Notwehrlage an. Eine solche ist gerade nicht mehr gegeben, wenn die Tat durch die Flucht nicht mehr gegenwärtig ist. Richtigerweise führt ein extensiver Notwehrexzess gemäß § 33 StGB nicht zur Schuldlosigkeit, sondern ist gegebenfalls als Strafmilderung zu berücksichtigen.