I. Kurzfassung

Gemäß § 34 S. 1 StGB handelt nicht rechtswidrig, wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden. Physische Verteidigungsmaßnahmen verwirklichen grundsätzlich Straftatbestände wie Körperverletzungsdelikte (§§ 223 ff. StGB) oder Sachbeschädigung § 303 StGB. Eine Sicherheitskraft ist aber strafrechtlich gerechtfertigt, wenn die Voraussetzungen des § 34 StGB erfüllt sind. Damit entfällt das Unrecht der Verteidigungshandlung. Der in § 34 StGB normierte rechtfertigende Notstand schützt sicherheitsgewerblich tätige Mitarbeiter somit vor einer eigenen strafrechtlichen Verfolgung. Bei Sicherheitsdienstleistungen, in welchen die Bewachung fremder Rechtsgüter vor feindlichen Fremdeinwirkungen im Vordergrund steht, stellt § 34 StGB somit eine wichtige Legitimationsgrundlage dar. 

II. Einordnung

§ 34 StGB ist nicht speziell an Träger von Hoheitsrechten wie Polizei und Ordnungsämter adressiert. Stattdessen handelt es sich um eine allgemein gültige Norm, weswegen man sie auch als „Jedermannsrecht“ bezeichnet. Neben §34 StGB zählen zu den Jedermannsrechten auch insbesondere Notwehr und Nothilfe (§ 32 StGB), das Recht auf vorläufige Festnahme (§ 127 Abs. 1 stopp) sowie zivilrechtliche Rechtfertigungsgründe (vgl. §§ 227, 228, 229, 904 BGB und Besitzschutzrechte nach §§ 859 ff. BGB). 

Sicherheitsmitarbeiter handeln aus kommerziellen Motiven, welche ihren Niederschlag in einem Bewachungsvertrag zwischen Wachunternehmen und Auftraggeber finden. Es handelt sich um eine Tätigkeit privatrechtlicher Natur. Somit bemisst sich die Legitimität körperlicher Gewaltanwendung durch Sicherheitsmitarbeiter nicht nach öffentlich-rechtlichen Spezialnormen, sondern den genannten Jedermannsrechten. 

III. Unterschied zur Notwehr

Zwischen Notwehr nach § 32 StGB und einem Notstand aus § 34 StGB bestehen gewichtige Unterschiede. Notwehr setzt zum Tätigwerden einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff voraus, während es beim Notstand eine gegenwärtige, rechtswidrige Gefahr ist. Das StGB versteht unter einem Angriff eine durch einen Menschen willentlich hervorgerufene Bedrohung für ein rechtlich geschütztes Individualrechtsgut. Der Gefahrenbegriff schließt sämtliche Bedrohungen, menschlich oder nicht-menschlich gegenüber rechtlich geschützten Gütern mit ein. Also zum Beispiel auch Bedrohungen durch einen streunenden, bissigen Hund. Ebenso sind auch Allgemeinrechtsgüter von § 34 StGB erfasst. Zum Beispiel das Interesse an Erhaltung des eigenen Arbeitsplatzes, Interesse an einer transparenten Unfallaufklärung oder Provisionsansprüche.

Die Voraussetzungen an eine Notstandslage (siehe im Einzelnen unten) sind insgesamt geringer als in § 32 StGB. Umgekehrt sind auf Rechtsfolgenseite strengere Anforderungen an die Notstandshandlung zu stellen. Es ist eine strenge Güterabwägung durchzuführen, welche in dieser Gestalt bei Notwehr entfällt. Man bezeichnet Notwehr daher auch als „scharfes Schwert“ der Rechtsordnung. Dem § 32 StGB kommt für Sicherheitskräfte damit eine höhere praktische Relevanz zu als § 34 StGB. 

IV. Voraussetzungen

Der Aufbau des rechtfertigenden Notstands ist parallel zu den übrigen Jedermannsrechten. Um sich auf einen Notstand berufen zu dürfen, müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein. Es bedarf:

  1. einer Notstandslage,
  2. einer tauglichen Notstandshandlung
  3. und Verteidigungswillen.

1. Notstandshandlung

Eine Notstandshandlung setzt eine gegenwärtige rechtswidrige Gefahr für ein rechtlich geschütztes Interesse voraus. Gegenwärtig ist eine Gefahr, wenn sie unmittelbar bevorsteht oder noch andauert. Beispiel für eine drohende Gefahr ist etwa ein Angreifer, welcher auf einen Sicherheitsmitarbeiter zu rennt, um ihn sodann „niederzustrecken“. Wichtig ist, dass nur die Verteidigung gegenüber rechtswidrigen Gefahren durch § 34 StGB legitimiert werden kann. An der Rechtswidrigkeit fehlt es, wenn der Angreifer seinerseits gerechtfertigt handelt. Etwa, weil die Gefahr von der Sicherheitskraft selbst schuldhaft provoziert wurde.

2. Notstandshandlung

Kernpunkt der Notstandshandlung ist eine Interessenabwägung. Danach ist abzuwägen zwischen der Intensität der Gefahr und dem Eingriff in die Rechtsgüter der Gefahrenquelle durch die Verteidigungsmaßnahme. Nur wenn das Erhaltungsinteresse die Schwere der Verteidigungshandlung wesentlich überwiegt, sind die Voraussetzungen des § 34 StGB erfüllt. Die Vor- und Nachteile sind demgemäß bildlich gesprochen auf die Waagschale zu legen. 

Es ist zu ermitteln, wie schutzwürdig die jeweiligen Rechtsgüter sind. Körperliche Gewalt dürfte im Falle von drohenden Vermögensschäden nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt sein. Der Schutz der Gesundheit und körperlicher Unversehrtheit ist elementar. Eine Besonderheit besteht zudem für das Leben an sich: weil menschliches Leben an sich nicht quantifizierbar ist und sich einer Abwägung entzieht, kann die Tötung eines anderen Menschen niemals von § 34 StGB gerechtfertigt werden!

Stehen mehrere Verteidigungsmittel zur Auswahl, ist das mildeste unter gleichermaßen geeigneten Mitteln auszuwählen. Dahinter verbirgt sich das Prinzip einer möglichst geringen Beeinträchtigung fremder Rechtsgüter. 

3. Verteidigungswille

Schließlich muss die Sicherheitskraft noch mit dem inneren Willen handeln, sich überhaupt verteidigen zu wollen. Wer rechtsmissbräuchlich Gewalt anwendet, um dem anderen einen Schaden zuzufügen, kann sich nicht auf § 34 StGB berufen.