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Unter dem Begriff „angemessen“ versteht man eine wertende Bezeichnung, welche in rechtlicher Hinsicht die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne darstellt. Unter der Verhältnismäßigkeit versteh man ein grundlegendes Prinzip der Verfassung, welches sich aus dem Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 3 GG und den Freiheitsgrundrechten im Wesentlichen ableitet. 

Demnach ist ein Mittel verhältnismäßig, wenn es einen legitimen Zweck verfolgt, zur Erreichung dieses Zweckes geeignet und erforderlich und schließlich auch angemessen ist. Die Ebene der Angemessenheit stellt damit den finalen Prüfungspunkt dar, wenn es um die Frage der Verhältnismäßigkeit geht.

Funktion

Jedes staatliche Handeln, vor allem das Beschließen von Gesetzen und deren Ausführung durch die Verwaltung, ist an den Grundsatz gebunden. Das Prinzip „strahlt“ in vielfältiger Weise in die Rechtsordnung aus. Es soll vor willkürlicher und unbegrenzter Ausübung staatlicher Gewalt schützen. 

Allerdings erschöpft sich die Anwendbarkeit und Reichweite des Prinzips nicht auf das Verhältnis zwischen Bürgern und Staat. Vielmehr ist es auch in Normen erwähnt, die zwischen Bürgern und Bürgern Anwendung finden. So sind also nicht nur Polizei- und Ordnungsbehörden, sondern auch Sicherheitskräfte den Ausprägungen und Erweiterungen des Grundsatzes auf einfachgesetzlicher Ebene unterworfen. 

Inhalte 

Nur was bedeutet Angemessen im Einzelnen? Diese Voraussetzung ist die letzte und zugleich strengste bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit. Ein Mittel ist angemessen, wenn der beabsichtigte Zweck nicht außer Verhältnis zur Schwere des Eingriffs steht. Es wird also eine Güterabwägung vorgenommen, so wie sie etwa durch die Darstellung der „Justitia“ mit der Waage sinnbildlich verdeutlicht wird. 

Es werden schutzwürdige Interessen miteinander abgewogen. Angemessenheit setzt voraus, dass das Interesse an Intervention höher ist als das Interesse an Erhaltung des Status Quo. 

Ausprägungen im Verteidigungsrecht

Die Angemessenheit ist Bestandteil von Gesetzen, welche jedermann die Anwendung physischen Zwangs zu Verteidigungszwecken gestatten. Diese sogenannten Jedermannsrechte ermöglichen privaten Sicherheitskräften die Abwehr feindlicher Fremdeinwirkungen. 

Die Erlaubnisnormen stellen das berufliche Rüstzeug gewerblicher Wachkräfte dar. Dazu gehören insbesondere Notwehr gem. § 32 StGB und Notstand gem. § 34 StGB. Ferner ergeben sich Rechtfertigungsgründe aus §§ 227, 228, 904 BGB und den ungeschriebenen Grundsätzen einer rechtfertigenden Einwilligung und rechtfertigenden Pflichtenkollision. 

Am häufigsten zur Anwendung kommen § 32 StGB und § 34 StGB. Diese sollen nun in Hinblick auf das Merkmal angemessen näher betrachtet werden. 

Wortlaut § 34 StGB

Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.

In § 34 StGB ist die Abwägung beziehungsweise Angemessenheit ausdrücklich vorgeschrieben. Bei einer Gefahr muss die Wertigkeit der bedrohten Rechtsgüter abgewogen werden mit solchen, welche durch die Beseitigung der Gefahr verletzt werden. Es findet eine strenge Güterabwägung statt. Nur wenn die bedrohten Rechtsgüter überwiegen, ist die Verteidigungshandlung gerechtfertigt. 

Dabei ist zu beachten: menschliches Leben ist an und für sich eine eigene Qualität. Es stellt keinen bestimmten Wert dar. Man spricht daher von der Unabwägbarkeit menschlichen Lebens. Mit anderen Worten: § 34 StGB rechtfertigt niemals die Tötung eines anderen Menschen. 

Wortlaut § 32 StGB

  1. Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.
  2. Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Das Notwehrrecht enthält keinen Vorbehalt der Angemessenheit. Demnach findet gerade keine strenge Güterabwägung statt. Zwar gilt auch hier der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Allerdings entfällt die strenge Prüfung beziehungsweise Gegenüberstellung von Mittel und Zweck. 

Danach ist durch § 32 StGB eine Entfaltung körperlicher Kraft gegen einen Angreifer gerechtfertigt, wenn die Folgen für den Angreifer schwerer sind als das von ihm seinerseits bedrohte Rechtsgut. Daher bezeichnet der BGH das Notwehrrecht auch als „scharfes Schwert“. 

Allerdings stellt § 32 StGB auch keinen Freibrief für die ungehemmte Anwendung physischen Zwangs dar. Durch das Merkmal der „Gebotenheit“, vgl. § 32 Abs. 1 StGB, gibt es eine Art sozial-ethische Korrektur. Demnach müssen gewissen Mindestmaßstäbe zwischenmenschlichen Verhaltens gewahrt werden. 

Zwischen Angriff und Verteidigung darf kein „krasses Missverhältnis“ bestehen. Es darf bildlich gesprochen nicht mit „Kanonen auf Spatzen“ geschossen werden. Wer Opfer einer Beleidigungstat ist, wird zwar im Rechtsgut der persönlichen Ehre beeinträchtigt. 

Dies berechtigt per se jedoch nicht zur Verteidigung durch körperlicher Gewalt. Das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit steht grundsätzlich in einem solchen Missverhältnis zur Ehre.