Kurzerklärung
Der Begriff „Aggressivnotstand“ bezeichnet einen Rechtfertigungsgrund aus dem Zivilrecht (§ 904 BGB) und steht im Zusammenhang mit unmittelbar gegenwärtigen Gefahren. Das heißt, wenn sofortige Abhilfe erforderlich ist, darf eine Wachkraft die Gefahr auch mit Verwendung fremder Gegenstände abgewehrt werden. Der Eigentümer einer Sache muss dies dulden.Inhalte

Die Kernvoraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes lauten:

  • unmittelbare Gefahr
  • Erforderlichkeit der Einwirkung
  • Verhältnismäßigkeit

Unmittelbare Gefahr meint eine Sachlage oder einen Zustand, der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eines Rechtsgutes führt, wenn nicht alsbald Gegenmaßnahmen unternommen werden. Als Rechtsgüter kommen zum Beispiel Eigentum oder die körperliche Unversehrtheit in Betracht.

Erforderlichkeit beschreibt das sogenannte „Prinzip des Interventionsminimums“: aus gleichermaßen geeigneten Abwehrmaßnahmen muss sich die Sicherheitskraft für das mildeste Mittel entscheiden.

Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit müssen Wertigkeit des bedrohten und des durch die Verteidigungshandlung in Anspruch genommene Rechtsgut in einem angemessenen Verhältnis stehen. Die Intensität des Eingriffes darf den Verteidigungszweck nicht überschreiten.

Beispiel: Herr Müller geht spazieren. Ein Hund rennt auf ihn zu und möchte ihn beißen. Um die Gefahr abzuwehren, reißt Herr Müller aus einem nahegelegenen Zaun eine Latte heraus und vertreibt den Hund. Der Eigentümer des Zauns hat in dieser Situation nicht das Recht, es Herrn Müller zu verbieten, die Latte zur Verteidigung seines Lebens zu nehmen.

Rechtsfolge

Durch § 904 BGB entfällt die Rechtswidrigkeit der Zerstörung oder Beschädigung einer fremden Sache. Im Zivilrecht kodifiziert § 904 BGB eine Duldungspflicht des betroffenen Eigentümers der fremden Sache. Er darf nicht einschreiten und mangels Rechtswidrigkeit dürften die meisten Ansprüche auf Schadensersatz gegen die Wachkraft entfallen.

In strafrechtlicher Hinsicht kann sich durch § 904 BGB die Rechtswidrigkeit einer Sachbeschädigung und damit eine mögliche Strafbarkeit aus § 303 StGB erübrigen.

 

Abgrenzung zum Defensiv-Nostand

Beim Aggressiv-Notstand greift die Sicherheitskraft in Rechtsgüter von Personen ein, die mit der Gefahr „nichts zu tun“ haben. Geht die Gefahr dagegen von einer Sache unmittelbar selbst aus, ist dessen Vernichtung womöglich anhand eines Defensiv-Notstandes (§ 228 BGB) gerechtfertigt. Anders als bei § 904 BGB findet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit keine Anwendung.